Projekt Paradoxon


Drei Fenster hier.
Das eine hat einen vorzüglichen Blick
auf die Hauswand gegenüber.
Das andere macht durch Pixel die Farben,
es lässt Chancen verstreichen
Und hilft Zeit totzuschlagen.
Das dritte hat nur das dumpfe zum schaun,
Haussegen schief - Niveau noch unterm Kellerverlies.
Manipulativ der Sklave auf der Fernbedienung liegt,
die so heißt weil der über die Welt entschied,
der den Roten Faden im Programm noch zieht..
Drei Fenster, nur vages zu sehen.
Ich sollte auf Reisen gehen.

Mittwoch, 7. September 2016

Fliegen und der Sturz alter Männer


Ein alter Mann lag im Sterben. Die Glieder allesamt von Sich gestreckt, lag er wie ein Sandsack auf seinem Krankenbett welches bald das Bett eines toten Mannes sein sollte. Der Raum in dem das Bett stand, hatte große Fenster und war in einem weißen Glanze erstrahlt in den vielen Wogen des Lichtes, welches den umherfliegenden Staub im Zimmer funkeln machte. Außer dem schwachen Atem des Mannes war Stille, nur entfernt zwitscherten Vöglein dem Leben lobpreisend Lieder und manche kamen auch an das Fenstersims um den alten Mann zu verabschieden. Das Fenster stand einen Spalt breit offen und es wehte herein die Frischluft eines jungen Frühlingstages. Die Welt stand in Blüte. Und wie als wollte sie ein Farbenspektakel zum Wiedersehen offenbaren, erleuchtete die Welt im gänzlich Glanze.

Der alte Mann jedoch sah diese farbenfrohe Schönheit nur in seinen Augenwinkeln durch die hohen Fenster strahlen. In seinen Jugendtagen und seiner Adoleszenz, hatte er es geliebt die grünen, saftigen Lande entlang plätschernder Bäche und verwachsener Wege zu durchstreifen. Und es dauerte gar nicht lang an Lebensjahren, schon kannte er die Lande wie seine Westentasche. Zeitlebens war diese ihm heimische Natur die Erweiterung seines Geistes. Wie der Naturgeist auch in seiner Seele wohnte und des Seelchens Wohlgeschick und Glücklich Geschehen anhaftete. So durchwob die Liebe für den werten aber Sterbenselenden alten Freund die Atmosphäre und viele Wesen kamen an das Fenstersims heran zum letzten Lebewohl. Im Verlaufe des frühen Morgens, begann es plötzlich lauthals kräftig zu summen und zu brummen.

So schwebte mir Nichts, dir Nichts eine junge Eintagsfliege zum Fenster herein. Recht wacker und fix auf Flügeln und Beinen sowohl groß, dick und rundlich mit buschigen Haaren und langen, schlanken Fühlerchen. Erste eifrig die Ecken absuchend nach Vergessenen Krümmeln, dann wilde Runden drehend um den mit Glasperlen behangenen Kronleuchter. Die Eintagsfliege konnte manigfaltige Gerüche riechen im Zimmer des sterbenden Mannes.

"Welch Gemisch an Düften und hauchigen Noten!" Dachte die Fliege voller Überschwang bei Sich. Leichtfüßig landetet sie auf dem Nachttisch des alten Mannes. Die Eintagsfliege spiegelte sich in alten Karaffen, welche lange Zeit vom Staub belagert waren, doch nun blitze - blank gereinigt von tüchtigen Händen der Hausbediensteten. Die Eintagsfliege besah sich in diesen Karaffen und je nach Größe und Rundung veränderte sich ihr Spiegelbild zusehends. Und als sie da so durch ihr ureigenes Speigelkabinett huschte, durchblitzte die Eintagsfliege ein wichtiger Gedanke:

"Die Wahrnehmung aller ist in einer Art Spiegelkabinett begriffen. Wir unterliegen den identischen Krümmungen im Spiegelbild, jedoch wird ein jeder der Sich spiegelt nur seine ureigenste Spiegelung wahrnehmen. So sind alle Realitäten wie Zerrspiegel in denen unser Selbstbildnis erscheint."

Noch wusste die Eintagsfliege nicht was das zu bedeuten hatte.

Nachdem sie nun ausreichend den Nachttisch des alten Mannes erkundigt hatte, wandte sie Sich zur Seite, huschte schnurstracks durch das Kabinett der Karaffen und hatte nun für sie Groß und Weit des Mannes Bettstadt vor Sich. Da türmten sich solide Höhen aus Deckenfalten unter denen der Mann schwach und leicht röchelnd atmete. Der Körper zermattet von Gicht und Krankheit lag unterdessen stur wie ein Brett. Im seichten Auf und Ab hebten und senkten sich die Deckenfalten als wären es atmende Gebirge. So erklomm sie die ersten Höhen, von Fußwärts kommend da noch in einem kurzen Überflug der Sicherheit gewahr sein wollte. Was hatte sie doch in Ihrer Kinderstube für Gruselgeschichten gehört! Geschichten von einer Klatsche die fast lautlos surrend durch die Luft pfeift, unachtsame Körper zerquetschend. Für die Zunft der flotten Eintagsfliegen waren Menschen Bewegungen von einer Entschleunigung dass man als Eintagsfliege dachte:

"Diese Menschen bleiben stehen, oder noch langsamer und Sie tun alles Rückwärts".

Der Riese ruhte also seine letzte Lebenszeit und die Eintagsfliege beschloß im Zick - Zack Kurs, den Bauch hinauf gen Gesicht des alten Mannes  zu huschen. Dort angekommen, blickte Sie in ein Gesicht - in das war ein ganzes Leben gezeichnet. Ein markantes Kinn verdeckt durch einen krauselig gewachsenen Bart. Dieser strahlte auf gewisse Weise in einem Etwas gräulichen Weisston im grellen Widerschein der hohen Fenster. Aus einer großen Nase, mit Nasenlöchern wie Höhleneingänge bahnte sich ein Wildwuchs aus verqueren Nasenhaaren. Sie ließ ein paar Herzschläge passieren, atmete tief ein, atmete aus und machte einen mutigen Satz von der Decke auf die Nasenspitze des alten Mannes. Dieser rümpfte selbige, und schlug die unter buschigen Augenbrauen gebetteten Augen auf. Sie erleuchteten - grün, gräulich gesprenkelte Iris und ein wacher, regsamer Blick. So sahen Sich der alte Mann und die Eintagsfliege zum Ersten Mal einander an, von Angesicht zu Angesicht. Die Fliege war verwundert hatte sie nicht mit dem regen Geist gerechnet.

"Ist das Fleisch schon schwach, der Geist noch wach."

Murmelte der alte Mann und ein Dunst aus Heilkräutern, hüllte die Fliege ein wie eine Blubberblase, wohlig dennoch benommen und schummrig tapperte die Fliege auf der Nasenspitze des Alten Mannes. Hin und Her, fast purzelte sie dem Mann auf die Wangen, rücklings auf die Flügel. Doch mit Nerven aus Drahtseil hielt der Mann inne und stand gegen den übermächtigen Drang zu Nießen, sagend:

"Dies könnt mich um die Ecke bringen! Mit dem Nutznießen will mir nicht gelingen.
So genieß ich noch Genosse und sag Gesundheit wenn genossen, Guten Tag!"

Grunzte der Greis griesgrämig.

"Na du bringst ein Wort! Um die Ecke bringen wollt ich dich doch nicht!
Wollt nur mal dein Angesicht sehen, die Welt und alles ist neu für meinen Blick
musst du verstehen. Du sagst du fürchtest um die Ecke zu gehen? Was wartet
denn dort so fürchterliches?"

Da schnaufte der Mann ganz leis auf, entgegnete:

"Na nu, das weiß ich ja nicht, ist es hell hinterm Licht? So weiß ich doch um
die Naturgeister, sie wohnen dem Inne was ich greifen kann. Doch weiß ich
derlei mehr durch das Fühlen als das Hörensagen und nachplappern. Über den
Tod weiß ich Nichts außer dass er Körper reglos macht. Wohin die Seelchen
unserereins gehen ist Nicht greifbar. Es geht mit mir zu Ende, liebes Flügeltier -
es ist noch früh, der Tag naht noch heran. Du bist noch ein junge Eintagsfliege,
lass mich dir einen letzten Rat für den Tag geben, und vielleicht führt dich dein
Weg wieder her - ehe ich meinen antreten muss."

So sprach der Greis:

"Tue was du tust mit Liebe
  Geben gibt dir mehr als Fordern
  Ich ist Ich, mehr als nur Triebe
  Nur mit Handlung sinnig Worte"

Der Mann fuhr fort:

Gebe jedweder Empfindung und jedem Erleben einen Sinn indem du mit ihr in Gänze schwingst. Sei es rühmlich oder unrühmlich. Akzeptiere es, mehr noch integriere es in dein Sein und Wesen. Schließe deinen Frieden mit deinen sogenannten Schwächen und Lastern. Erhebe dich über das ich was du gestern galtest. Doch vor allem, hör auf zu Suchen oder Finden zu wollen, allzu weltlich Ziele lass ab! So wird dein Herz ruhen im Chaos der Aussenwelt. Fühle auch die schmerzvollen Momente als Geschenk."

Voll Unverständnis rollte die Fliege die vielen Augen, sagend:

"Du, der Tag ist noch nicht lang und gibts da nichts zu loben, bevor der Abend heran naht!
Mein Weg hat eben erst begonnen. So lass mich mal schalten und walten. Und geht dieser Tag in langer Zeit seinem End entgegen, so will ich dich wieder besuchen und den letzten Weg gehen
wir zu zweit. Dann wolln wir mal sehen was hinter dem Eckchen lauert, was ihr Menschlinge
so fürchtet!"

Zum Abschiede nickend und mit den Vorderbeinchen das Fresswerkzeug blitze blank putzend, hob die Fliege ab von der Nasenspitze des Mannes, auf der Sie zum kurzen Plausch mit selbigen geruht hatte. Schoss dann in einem Heidenzahn zum Fenster hinaus, in die Welt die in Blüte stand. Gerade war Stille eingekehrt im Zimmer, da summte die Fliege plötzlich wieder heran, sagend:

"Und ach, übrigens Gestern hab ich noch nicht gelebt, ich lebe im Heute."

So, nun eine wohl reiflich überlegte gestolperte Acht fliegend, war der Schwindel zu groß und sie klatschte Ausversehen gegen den oberen geschlossenen Teil der Fensterscheibe. Zig Sternchen sehend, flog sie nun hinaus mit schummrigen Flügelschlag. Hinaus in die Welt welche in Blüte stand.

Der alte Mann fiel zurück in Schwäche bedingten Schlummer, davon träumend was ihn sein Leben über reute. Es war einer dieser Träume in denen man fühlt mehr Akteur denn Marionette des Unterbewussten zu sein, und so war es ihm möglich auch ein paar Gedanken während des Schlummerns freien Lauf zu lassen:

"Im Leben kann man schon Recht reumütig werden. Es reut uns das Tun und es reut uns das Lassen. Jedwede Handlung hält das Potential inne gen Reumut zu wachsen. Handlungen erwachsen aus Entscheidungen und Entscheidungen limitieren kausale Handlungen. Wir sind in einem Meer aus Möglichkeiten, und es überfluten uns mögliche Erfahrungen in wellenden Wogen, doch die Entscheidung formt für uns im Mehr aller Möglichkeit einzelne Tropfen heraus, in denen wir nun reifen am Glücklichen Gelingen und auch in des Mißgeschicks Bann. Doch jede Freude, jedes Leid ob Erfahren oder Unerfahren will bereut werden zu Gunsten eines Wachstumsprozesses, behilflich der tätigen Weisheit in Blüte zu treten."

Aus einem Traum in dem er unter einer mächtigen Eiche sitzt und auf Grashalmen kaut, aufwachend ob den Gedanken die ihm während des friedlich Schlummerns durch den Kopf schoßen, schlug er die Augen erneut auf in seinem Krankenbett.

Als er aus den Augenwinkeln blickte war Mutter Sonne schon kräftig am Abnehmen und tauchte die Frühlingshaften bunten Mischwälder mit ihren tagsüber leuchtend grünen Wiesen und Wildbächen in ein seicht leuchtendes Abendrot, als hätte eine unsichtbare Hand ein orangenes Tuch über Mutter Sonne geworfen. Die Hitze des Tages verflog sanft und immer stärker rückte die Kühle der Nacht in das Zimmer des alten Mannes.


Da hörte man es erneut laut summen und brummen. Sofort wusste der Mann dass das sein alter junger Freund die Eintagsfliege war. Diesmal kam die Fliege jedoch gemächlicher durch das immer noch einen Spalt breit geöffnete Fenster.

Mit schweren Schultern und Rückenpartien setzte sich die Fliege erneut auf die Nasenspitze des alten Mannes. Ein Grußwort an Ihn richtend, sprach Sie - erschöpft doch heiter:

"Grüß dich alter Menschenfreund. Ich bin nun auch in meinem Lebensabend eingerichtet. Mein Gutester, sagen und danken muss ich dir dass dein Rat mir sehr hilfreich war. Die Momente hab ich allesamt genossen, auch vieles bereut, doch mit alldem einen umwälzenden Frieden gefunden.Trauer die ich trug, Neid der in mir entflammte, die Raserei im lieblich und auch verdrießlich Überschwang. Ich war in Zweisamkeit, Ich war in Einsamkeit. Ich war Ich, wie ich mir auch mein Mehrsein war. Alles hab ich ausgekostet, das rühmliche wie das unrühmliche. Es dauerte so manches Mal seine Zeit, bis ich in dem was mir missfiel auch den Wert, der Erfahrung Gefallen sehen konnte um so mit dem Leid des Egos Frieden zu schließen.Doch es gelang mir, und mir war dass ich in vollen Zügen lebte."

Da blitzte ein breites Grinsen im Gesicht des alten Mannes auf. Tief einatmend, öffnete er langsam die Augen nachdem er der Fliege Worte gelauscht hatte. Sagend:

"Mein Lieber Freund, das freut mich sehr für dich! Ich spüre derweil wie mein Herz nun immer schwächer und langsamer schlägt, das wackere nun ermüdet und der ewiglich Schlaf in meine Glieder fährt. Alles was ich schuf, was ich jemals tat fällt nun dem Vergangenem anheim. Alles was ich an Regungen erfuhr und spürte geht nun mit mir fort. Der Weltenpuls bebt weiter hinfort und ich trete von der Welt in den Schleier hinaus. Wohl an Gevatter Tod! Du bist mir unbekannt und Ich fürchte dich wie einen mysteriösen Fremden."

Da fiel ein Schleier in Form eines Kapuzenmanns mit breiten, mächtigen Flügeln über unsere beiden Freunde. Der Mann erstarrte, vor Angst wurde er ganz Grau. Sein Körper derweil liegend im Bette war nun geschaltet in den Fluchtmodus. Da blickte die Fliege, sich auf der Nasenspitze des alten Mannes umdrehend, den Kapuzenmann namens Gevatter Tod an. Sie sahen sich ebenso an wie alte Freunde. Sagend zum Kapuzenmann:

"Bis zum Nächsten Mal mein alter Freund."

Der Kapuzenmann nickte liebevoll zurück. Daraufhin unternahm die Fliege einen letzten Kraftakt. Sie flog zum Lauscher des alten Mannes, dessen Herz nun seine letzten Schläge tat, sein Angesicht noch immer ergraut vor Furcht. Da summte die Fliege dessen Herz ebenfalls die letzten Schläge tat zum Ohr der Mannes heran, und flüsterte:

"Wenn du wüsstest dass Gevatter Tod hier, ein sehr alter Freund auch von dir ist und er dich regelmäßig in all deinen Leben besucht und deine Seele geleitet wie ein Freund, dann spürtest du wie alle Angst von dir abfällt und verfliegt wie ein Flüstern im Wind."

Als er das noch hörte, schlug der alte Mann ein letztes Mal die Augen auf, sich erinnernd an all die Male die sein Freund Gevatter Tod die Flügel um seine Seele schlug und ihn hinein in gleißendes Licht trug. Er flüsterte noch ein Danke, nun sichtlich erleichtert - an seinen Freund die Eintagsfliege. Und beide taten gemeinsam ihren letzten Herzschlag und schlummerten in das gleißende Licht hinein.


M.